Markus Mirwald, 1982 in Vorarlberg geboren, legt hier den dritten Band in seiner Aphorismen-Reihe „Wesentliches in wenigen Worten“ vor. Angeregt durch viele weltweite Reiseerfahrungen begann er – eigener Aussage zufolge – „sich mit dem Wesen des Mensch-Seins und des sozialen Miteinanders zu beschäftigen“. Zudem wandte er sich dem Studium der Soziologie zu. Er lädt die Leser/innen zum „Perspektivenwechsel“ ein und möchte recht ambitioniert „die Grenzen des Denk- und Machbaren (…) verschieben.“ Sein Anliegen formuliert er ferner so: „(Mein) Schreiben folgt dem Gedanken: Verändern wir unseren Alltag, wandelt sich unser ganzes Leben.“

Das Buch ist sehr ansprechend, weil originell im Querformat gestaltet. Die individuelle Note kommt auch dadurch bestens zur Geltung, dass jeder Aphorismus auch handschriftlich abgedruckt ist. Erwähnenswert auch, dass der Band mit dickeren Seiten und einem Lesebändchen ausgestattet ist.

Die fünfzig Aphorismen, – ausgehend von den ersten beiden Bänden der Serie, folgerichtig durchnummeriert von 101 bis 150, berühren allgemein-existenzielle und konkret-lebenspraktische Themen des Menschen gleichermaßen – von der alltäglichen Gestaltung von Beziehungen und der Suche nach Glück und Erfolg bis hin zu übergreifenden ethischen Fragen der Freiheit und sozialen Verantwortung. Dazu sei auf zwei Textbeispiele verwiesen:

 

„Manche werden scheinbar von allem verschont –

auch vom Glück, sich dessen gewahr zu werden.“

 

„Die Freiheit, die wir zu leben wagen,

bringt jene Verantwortung mit sich,

an der wir wachsen.“

 

Manchen dieser Gedankenanstöße haftet deutlich der moralische Appellcharakter an, wie etwa im Kurztext 120 über das Bewusstsein:

 

„Erst das Bewusstsein,

für die Folgen unseres Tuns Verantwortung zu tragen,

macht uns zu mündigen Menschen.“

 

So ähnlich auch in Nr. 116:

 

„Um gegenwärtige Chancen ergreifen zu können,

gilt es zunächst, die Vergangenheit loszulassen.“

 

Hier und in anderen Fällen überwiegt das Selbstverständliche der Aussage, es fehlt der überraschende, pointierte Erkenntniszugewinn. Somit verbleiben viele seiner Aphorismen im Umkreis wohlwollender, ratgebender Kalendersprüche oder reiner Wortspielereien (so z.B. 106 / 109 / 111 / 150). Dies gilt auch für die Nr. 134:

 

„Erst die Liebe

schenkt der Berührung Inhalt –

und bringt die Welt zum Leuchten.“

 

Der zweite Teil verdirbt durch sein Pathos den durchaus gelungenen ersten. Hier wäre also eine weitere Verknappung angeraten.

Wesentlich tiefgründiger sind dann solche kontradiktorischen Denkanzettelungen wie Nr. 148:

 

„Es entspricht dem Paradox des Lebens,

dass wir in der Leere die Fülle entdecken

und in der Weite uns selbst finden.“

 

(Hier hätte ich gut auf das letzte Wort „finden“ verzichten können.) Wir stoßen auch auf einige anregende und denk-würdige Ratschläge, die aus eigener persönlicher Lebenserfahrung erwachsen sind, vorzugsweise zu den Themen „Erfolg“ und „Hoffnung“ (129):

 

„Manch einer berauscht sich

an der Intensität seiner Bemühungen,

ohne deren Erfolg nüchtern zu betrachten.“

 

Und (128):

 

„Es ist eine vergebliche Hoffnung,

woanders hinzugehen, ohne etwas zurückzulassen –

und ein anderer zu werden, ohne sich zu ändern.“

 

Wir finden durchgängig verschiedene elementare Bauprinzipien des aphoristischen Schreibens: u.a. die (Schein-)Definition (z.B. 107 / 110 / 130) / die Übertreibung (125 / 142) / das (vermeintlich) Widersprüchliche (111 / 123 / 124 / 126 / 147). Der Autor zeigt eine Vorliebe für die syntaktischen Formen „Wer…, der…“ und „Manche…“ bzw. „Manch einer…“ Bisweilen gerät der Satz dann zum berechenbaren, reinen Wortwitz – wie in (126):

 

„Wer sich allzu ernst nimmt,

macht sich lächerlich.“

 

„Manch einer verliert aus Angst,

das Gesicht zu verlieren, den Kopf.“

 

Am überzeugendsten sind meines Erachtens Mirwalds Aphorismen, wenn ihre Konstruktionsmerkmale nicht so offenkundig zutage treten. Dazu zählen diese Beispiele (139, 112):

 

„Ideen wachsen,

indem wir sie teilen.“

 

„Unsere Ausreden

entfalten in uns selbst die größte Wirkung.“

 

Und schließlich (114):

 

„Das Offensichtliche verstellt stets den Blick

auf das Ungeahnte.“

 

In solchen Kürzesttexten wird er auch seinem eigenen Anspruch gerecht, der im „Klappentext“ wie folgt formuliert ist: „Seine Aphorismen werfen ein neues Licht auf Vertrautes und laden zum spielerischen Umgang mit den vermeintlichen Grenzen des Möglichen ein.“ Der Autor (Jahrgang 1982) zählt sicherlich noch zu den hoffnungsvollen Novizen in der Aphoristik; wie in anderen Aphorismen-Sammlungen sorgt insgesamt die Mischung der Texte für die Wirkung bei der Leserschaft, und diese Auswahl in Band 3 „Mensch zu sein“ gibt der Erwartung Nahrung, dass wir in Zukunft noch mit weiteren gelungenen, vielleicht noch raffinierteren Texten rechnen dürfen.

 

Jürgen Wilbert

Quelle:

www.dapha.de