Verblüffend wesentlich.
„Erst wenn wir begreifen,
was der andere nicht zu sagen vermag,
beginnen wir ihn zu verstehen.“ (#50)
…lese ich in Mirwalds „Der vielleicht größte Schatz“, seiner Aphorismen Sammlung. Mit diesem einzigen Satz lasse ich mich als Leser auf etwas ein, das mich nicht in ein Besserwissen, sondern in ein Gefühl erspürter Verbundenheit versetzt. Eine Ahnung von komplexer Verbundenheit dämmert mir in vielen weiteren recht schlichten, unpoetischen Sätzen. Mirwald ist ein studierter Soziologe, der nicht nur über das logische Denken hinaus springt, sondern mich auch ganz konkret dahin schickt, woher er seine Worte zaubert. Das mag ich.
Woraus schreibt denn Mirwald seine zielgenauen Aphorismen?
„Gedanken zu teilen bedeutet,
ihnen die Freiheit zu schenken,
sich in anderen Menschen
neue Formen geben zu lassen.“ (#1)
Okay, seine Worte versetzen mich natürlich in mich selbst, wie es jedes Lesen tut. Aber was, wenn diese neue Form, die ich vielen von Mirwalds Gedanken gebe, zufällig gar keine Form ist, sondern das gleiche universelle Sein ist, woraus auch Mirwald schreibt? Ein kongeniale Verwebung entstünde so zwischen uns. Wie sehr liegt es denn an meiner und seiner Formgebung und Vorerfahrung, dass mich Mirwalds Worte immer wieder aufs Neue in eine prächtige Andacht hinein schießen? Ich meine z.B.:
„Kaum etwas ist uns so nah
und gleichzeitig so schwer begreiflich
wie die Perspektive,
mit der wir in die Welt blicken.“ (#24)
…ich staune, (#13) stellt mich vor eine Frage, (#21) erfüllt mich mit Scham, (#49) gibt mir Hoffnung. Und das jeweils in nur einem einzigen Satz.
Wer oder was schreibt da? Ich meine, da spricht eine geklärte Liebe zum Leben, die mir wieder und wieder kleine Wege aus dem Alltagsdickicht meiner Gedanken anbietet. Eine unausgesprochene, sinnstiftende und angenehm unreligiöse Totalität führt diesen Zen-stift, der mir so in etwa zuflüstert: „Es gibt definitiv einen Weg raus aus der eigenen Verstrickung. Hinein in eine größere, komplexe und feine Welt.“
Lieber Markus Mirwald, ich denke, du kannst jetzt das ungeschriebene „Danke“ als ein Leser-Echo zu deinen aufweckenden Aphorismen hören, oder?
Sascha Tscherni
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